Trainerentlassungen im Profifußball gehen nur selten ohne eine öffentliche Diskussion über die Bühne, so viel steht fest. Bei Hannover 96 erreicht die Posse um André Breitenreiter aber eine eigene Dimension – der Bundesligist gibt ein chaotisches Bild in der Außendarstellung ab.

Hin und Her um Breitenreiter-Aus

Als sich 96-Klubchef Martin Kind mit seiner Rede am Montagmittag beim Neujahrsempfang an die anwesenden Gäste in der HDI-Arena wandte, erwarteten alle ein Statement zur Zukunft von Trainer André Breitenreiter. Ein Statement kam auch – jedoch fiel dieses sehr überraschend aus. „Ich darf darauf hinweisen, dass es weder von mir noch von Horst Heldt Äußerungen zum Trainer gibt. Das sind reine Spekulationen, und an Spekulationen wollen und werden wir uns nicht beteiligen“, erklärte Kind und fügte an: „Wir spielen am Samstag in Dortmund gegen die Borussia, und verantwortlich ist Trainer André Breitenreiter.“


Martin Kind überraschte mit seiner Rede beim 96-Neujahrsempfang


Erst am Abend zuvor hatte der Kicker über eine bevorstehende Trennung von Breitenreiter berichtet. Demnach sei eine Entlassung des Trainers noch vor dem Dortmund-Spiel bereits beschlossene Sache, es fehle lediglich die Zustimmung des Aufsichtsrats. Mirko Slomka und Markus Gisdol wurden bereits als Nachfolgekandidaten ins Spiel gebracht, für eine Interimslösung stünde U23-Coach Christoph Dabrowski bereit.

Am Tag darauf dann jedoch die klare Ansage: Breitenreiter bleibt – zumindest vorerst. Das Festhalten am Aufstiegstrainer ist per se eine mehr als nachvollziehbare Entscheidung, die Art und Weise, wie sie nach außen kommuniziert wurde, ist hingegen ein klares Eigentor.

Keine klare Positionierung erkennbar

Hannover 96 ist nun unter Zugzwang. Eine klare Weichenstellung für die Rückrunde muss erfolgen: Bleibt Breitenreiter oder geht er? Eine Entscheidung hätte nur leider schon viel früher erfolgen müssen. In der Winterpause hatte der Klub die Möglichkeit die Zukunftsplanung sauber über die Bühne zu bringen – dieser Zeitpunkt ist nun verstrichen.

Es scheint, als sei man sich bei Hannover 96 nicht darüber im Klaren, wie man sich in der Rückrunde positionieren wolle. Plant man bereits für die zweite Liga oder greift man noch einmal an? Für letztere Option wurden jedenfalls nicht alle Hebel in Bewegung gesetzt, denn der Kader wurde nur punktuell verstärkt – eine Offensive im Abstiegskampf sieht anders aus. Das mahnte auch Breitenreiter an und forderte mehrfach Verstärkungen: „Ansonsten sind wir nicht konkurrenzfähig. Wir haben bereits im Sommer deutlich an Qualität eingebüßt“, sagte der 45-Jährige in einem Interview mit dem NDR.

Trotzdem ging Hannover nicht ins finanzielle Risiko, verpflichtete mit Kevin Akpoguma und Nicolai Müller lediglich zwei Spieler auf Leihbasis und holte zudem Stürmer Jonathas vorzeitig aus Brasilien zurück. Kinds Begründung: Er sei nur bereit zusätzliches Geld für einen Transfer zur Verfügung zu stellen, „wenn die realistische Chance auf den Klassenerhalt“ bestehe. Der Klubchef gab die Entscheidungsgewalt aber an seinen Manager weiter: „Horst Heldt muss sich positionieren“, forderte Kind. Eine finale Transferoffensive blieb bisher jedoch aus – genauso wie ein grundsätzliches Bekenntnis zu André Breitenreiter.


Jonathas erzielte in zwölf Ligaspielen für 96 drei Treffer


Zeitpunkt verpasst, Klarheit zu schaffen

Wenn man vom Trainer nicht mehr überzeugt ist, hätte man eine Entscheidung vor dem Start der Rückrunde herbeiführen müssen. Dann hätte der etwaige Breitenreiter-Nachfolger ein wenig Zeit gehabt, Änderungen einzubringen und in der Personalplanung mitzusprechen. Eine Entlassung zum jetzigen Zeitpunkt würde die Möglichkeiten des neuen Trainers erheblich einschränken und die Mission Klassenerhalt nicht leichter machen.

Wenn Hannover bereit ist mit André Breitenreiter auch in die zweite Liga zu gehen, sollten sie das klar kommunizieren. Dass eine Entscheidung erstmal vertagt wurde, hilft keinem so recht weiter – denn nach dem Dortmund-Spiel werden die Verantwortlichen sich erneut zur Trainerfrage äußern müssen.

Abgesehen davon, ob der Verein sich letztlich für eine weitere Zusammenarbeit mit Breitenreiter oder dagegen entscheidet, muss die erst im August 2018 abgeschlossene Vertragsverlängerung mit dem Trainer kritisch hinterfragt werden. Im Falle einer Entlassung müsste der Klub somit eine hohe Abfindung zahlen. 96 ist dabei ein hohes finanzielles Risiko eingegangen – für einen Aufsteiger im zweiten Bundesligajahr ein wahrscheinlich zu hohes. Hannover ging als Abstiegskandidat in die Saison, deshalb hätte man den sportlichen Misserfolg Breitenreiters und eine mögliche Entlassung einkalkulieren müssen. Unter den gegebenen Voraussetzungen machte die langfristige Verlängerung von außen betrachtet nur wenig Sinn.


Im Falle einer Entlassung muss 96 André Breitenreiter eine hohe Abfindung zahlen


Parallelen zum Fall Stendel

Es ist schade, dass sich Hannover 96 erneut in einer prekären Situation befindet – die zwar nicht vollends, aber zu großen Teilen auch selbstverschuldet ist. Der Klub hat aus der jüngeren Vergangenheit anscheinend nicht gelernt. Erinnerungen werden wach an die chaotische Zeit zwischen 2015 und 2017, als man in zwei Jahren mit Tayfun Korkut, Michael Frontzeck, Thomas Schaaf und Daniel Stendel gleich vier Trainer entließ.

Generell weist die Causa Breitenreiter mit Blick auf die Außendarstellungen Parallelen zum Fall Stendel auf. Der ehemalige 96-Trainer wurde im März 2017 nach dem 25. Spieltag entlassen – und dass, obwohl die Niedersachsen als Tabellenvierter zu diesem Zeitpunkt nur drei Punkte hinter dem damaligen Zweitligaspitzenreiter VfB Stuttgart lagen. Der Umgang mit Stendel hatte 96 bereits damals harsche Kritik eingebracht: „Wie kann man in dieser Situation eine Trainerdiskussion führen?“, hatte beispielsweise Ewald Lienen hinterfragt. „Das ist für mich skandalös, lächerlich.“

Zumindest sportlich brachte der Wechsel von Stendel auf Breitenreiter damals den gewünschten Erfolg – 96 stieg am Ende der Saison in die Bundesliga auf. In der Außendarstellung tat sich der Klub mit der Trainerposse jedoch keinen Gefallen – genauso wie aktuell.


Alto Kolumni ist die Meinungsrubrik auf alto-belli.com. Hier werden kontroverse Themen eingeordnet, diskutiert und kommentiert.

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