Die Weltmeisterschaft ist für Deutschland schon vorbei, endlich. Die spielerische Leistung der „Mannschaft“ war bestenfalls mittelmäßig, die Stimmung innerhalb des Teams und des Verbandes scheint seit Wochen angespannt und einige Journalisten, „Experten“ und Politiker leisteten sich einen furchtbaren Wettbewerb um den ekligsten Kommentar zu Mesut Özil. Warum das Vorrundenaus folgerichtig und sinnvoll ist, erklärt Laurenz Schreiner.

Ansporn durch das Debakel

Bis zu Neuers Ausflug an Südkoreas Strafraum in der sechsten Minute der Nachspielzeit habe ich an das unmögliche Weiterkommen Deutschlands geglaubt, gehofft, dass der Welttorhüter mit einem Übersteiger die beiden Verteidiger austanzt und den Ball auf Richtung Elfmeterpunkt schlägt, wo sich Gomez hochschraubt, zum Ausgleich einköpft, den Ball aus dem Netz holt und eine Minute später den Freistoß rausholt, den Toni Kroos wie gegen Schweden in den Winkel ballert, 2:1, Spielende, Deutschland im Achtelfinale. Ende des Traums, Neuer verliert den Ball und Son schiebt den Ball ins leere Tor. So traurig die Szene als Schlusspunkt der drei deutschen Vorstellungen war, so deutlich hat man gesehen, dass es genau einen deutschen Spieler auf dem Platz gab, der für ein Weiterkommen auch bis nach Moskau gelaufen wäre: Manuel Neuer, der Kapitän. Er, der sich die letzten Monate immer mit der gewagten Hoffnung auf eine WM-Teilnahme in der Reha geschunden hatte und dann fast auf den Tag genau fit für das Turnier wurde, war der einzige im deutschen Team, der wirklich Lust und Ehrgeiz hatte, zu gewinnen. Das reicht aber bei 11 Spielern nicht. Dennoch mache ich den anderen Männern keinen Vorwurf: Sich nach dem unglaublichen und verdienten Titelgewinn 2014 wieder zu motivieren und einer für den anderen zu kämpfen, scheint von außen leicht gesagt, ist aber schwerer als gedacht. Vielleicht kommen nach diesem Debakel wieder der Wille und damit die richtige Einstellung zurück.


Symbolbild? Ein isolierter Jogi Löw.


Zurück zur Demut und weg mit der Selbstüberschätzung

Auf die Idee, als Motto der Nationalmannschaft „Best NeVer Rest“ zu wählen, muss ein Marketingmanager, ganz ehrlich, erst einmal kommen. Während in den vergangenen Jahren immer eine gewisse Demut Teil des Auftretens der deutschen Nationalmannschaft war, war die Außendarstellung des Teams an Arroganz und Selbstüberschätzung kaum zu überbieten. Titelverteidigung wurde vom Verband als Ziel ausgegeben, ohne dabei zu beachten, dass die Rücktritte von vier überragenden Stützen der Ära Löw, Lahm, Mertesacker, Schweinsteiger und Klose, eventuell eine Wirkung zeigen könnten und die Spiele der Mannschaft nach einem, zugegeben überzeugenden Confed-Cup gegen schwache Gegner, in den Monaten vor der Abreise nach Russland so schwach waren wie selten seit 2006. Das Problem lag hier einerseits beim Verband und seinem Hauptsponsor, die sich an der Rolle des Titelträgers unangenehm aufgeilten. Andererseits schaffte es auch Löw nicht, die Spieler von der Schwierigkeit der WM zu überzeugen. In Gedanken bleibt hier Reus‘ Versprecher, der erklärte, dass Löw ihn gegen Mexiko für die „wichtigen Spiele“ habe schonen wollen.

Ende der unsäglichen Debatte um Özil

Fußballfans lieben es, einen Sündenbock innerhalb eines Teams rauszupicken und für das Scheitern einer ganzen Mannschaft verantwortlich zu machen. Ist ja auch einfach, so kann jeder Fan beim Fußballgucken bei jedem Ballkontakt des Spielers aufstöhnen und bekommt eine einfache Lösung, die Aufstellung desjenigen, für die Probleme des Teams. Dieses Phänomen hat während der WM an völlig neuer Intensität gewonnen. Denn während zum Beispiel Gomez durch seine vergebene Chance gegen Österreich 2008 zum Buhmann wurde, geriet dieses Jahr mit Mesut Özil einer der Spieler ins Visier des Hasses, der sogar noch zu den stärksten im Team gehörte. Im ersten Spiel gegen Mexiko blieb er wie alle anderen schwach, doch gegen Südkorea war er einer der wenigen, die halbwegs in Normalform spielten und bereitete die wenigen guten Chancen vor. Der Grund ist also ein anderer: Rassismus. Es schien völlig legitim, auf den deutsch-türkischen Spielmacher einzuprügeln und jeder durfte mal: Lothar Matthäus, die Bild-Zeitung, Mario Basler, Oliver Pocher und natürlich die AfD. Ob Foto mit Erdogan, das Mitsingen der Nationalhymne, sein Aussehen (ja, wirklich) oder seine Körpersprache: Alles ging, Hauptsache drauf. Es war widerlich zu sehen, wie schnell und bösartig die Hasskommentare zu Özil aus unterschiedlichen Richtungen wuchsen. Damit ist es nun endlich vorbei, Özil wird in Arsenal wieder in der Premier League spielen und dort von den englischen Fans so gewürdigt, wie er es verdient. Diejenigen, die in den letzten Wochen jedes Maß in der Kritik verloren haben, verstehen erstens nichts von Fußball und sind zweitens schäbige Rassisten.


Sündenbock: Mesut Özil.


Zeit für einen Neuanfang

Deutschland hat Jogi Löw und seinem Team 12 Jahre großartigen und begeisternden Fußball zu verdanken. Jedes Turnier war ein Highlight, die Spielweise war überzeugend und offensiv, neue Talente schafften immer wieder die Entwicklung zu Eckpfeilern der Mannschaft. Nun ist sichtbar geworden, dass es aktuell nicht mehr funktioniert, die Stimmung im Team am Boden ist und auch taktisch und personell Änderungen notwendig sind. Löw hat sich während seiner Zeit als Bundestrainer selten als jemand präsentiert, der radikale Änderungen vornehmen will. Das war genau richtig. Doch jetzt wäre der Moment für einen Neuanfang mit einem neuen Trainer, der eine neue Ära beginnen kann. Jogi Löw hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern und Herzen der deutschen Fans so oder so.

Klar tut das Aus immer noch weh und wie schön wäre es, Brasilien gegen Mexiko mit dem Gedanken zu gucken, dass da gerade ein potenzieller Viertelfinalgegner spielt. Dieses Jahr sind aber andere Mannschaften dran. Und wir hatten immerhin das wunderbare Tor von Toni Kroos in der 95. Minute gegen Schweden. Allein für die entfesselte Freude danach hat sich der WM-Sommer schon gelohnt.

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2 Kommentare zu „Alto Belli WM-Gedanken: 4 Gründe, warum Deutschlands Aus gut ist

  1. Also zunächst einmal danke für den guten Artikel. Ich habe ihn mit Aufmerksamkeit gelesen, bin nicht komplett deiner Meinung, aber finde es prinzipiell gut, wenn man sich so analytisch mit dem Ganzen auseinandersetzt.

    Du hast einen wirklich wichtigen Punkt erwähnt. Außer Manuel Neuer und vielleicht noch Alex Süle hat kaum ein Spieler deutlich gemacht, dass er bei dieser WM etwas reißen will. Das finde ich befremdlich. Es fällt allerdings nicht nur in die Eigenverantwortlichkeit der Spieler, sondern für die Motivation ist auch der Trainer verantwortlich. Hier hat für mich der ganze Trainerstab versagt. Das lag auch an der Überheblichkeit, mit der man an dieses Turnier herangegangen ist. Offenbar hielt man gesonderte Motivation nicht für notwendig. Falsch gedacht!

    Du verteidigst Mesut Özil ja leidenschaftlich und mit Empathie. Das ist lobenswert. Ich finde aber, dass du ein bisschen über das Ziel hinausschießt, wenn du seinen Kritikern Rassismus unterstellst. Das trifft sicherlich auf die braune AFD-Truppe zu, aber ansonsten kann ich die Probleme mit Özil verstehen. Er macht es sich schwer. Und der DFB hilft nicht.

    Das Foto mit Erdogan war blöd. OK, Schwamm drüber. Ist jetzt vorbei. Aber die Art und Weise damit umzugehen, geht gar nicht. Und ich bin sicherlich kein Rassist. Er sagt einfach nichts dazu. Kein Bekenntnis zu Deutschland, der Demokratie und ihren Werten, nachdem er sich mit einem großen Antidemokraten getroffen hat. Das hat politische Dimensionen, ob er das nun will oder nicht. Es hätte sofort einen offenen Umgang mit der Sache erfordert. Eine Pressekonferenz, in der sich Özil erklärt und, von mir aus, eine Presseerklärung vom DFB vorliest. Er tut aber nichts dergleichen und das ist schwach. Pfiffe und Unmut kommen, das war klar. Da darf er sich nicht beschweren.

    Dazu kommt noch die bestenfalls durchwachsene sportliche Leistung, die nicht unbedingt dazu führt, dass man weiß, warum er mitgenommen wurde. Gut, das kann man bei den anderen Spielern auch nicht sagen, aber bei Özil ist das eine längere Geschichte. Deutschland wurde vor vier Jahren Weltmeister und hat ihn meist mitgeschleppt. An gute Länderspiele kann ich mich nur verschwommen erinnern. Bei Arsenal spielt er anders, da ist er gut. Das ist auch in Ordnung, es gibt solche Spieler. Aber mitnehmen muss man sie nicht. Gemeinsam mit dem Foto hätte es gereicht, wenn der DFB gesagt hätte: du liest nun die Presseerklärung vor oder du bleibst zu Hause. Das wäre konsequent gewesen. Übrigens auch für Gündogan.

    Ein neuer Trainer muss auf jeden Fall her. Ok, ich warte schon seit 12 Jahren, denn ich kann den Jogi nicht leiden. Das ist etwas persönliches und andere sollten das nicht Ernst nehmen. Er hat schon, über Zeitabschnitte, gute Arbeit geleistet. Aber diese arrogante Truppe um Löw und Bierhoff hat auch in den vergangenen Jahren viel Mist verzapft. Vor allem haben sie dafür gesorgt, dass die Nationalmannschaft eine Ansammlung von Ja-Sagern und Abnickern ist. Typen sind nicht gefragt oder wurden ausgebootet. Sando Wagner ist da nur der letzte Spieler in einer langen Liste. Ich hoffe inständig, dass Jogi den Hut nimmt und ich wieder uneingeschränkt Fan der deutschen Mannschaft sein kann. Seit 12 Jahren warte ich, wie gesagt, darauf.

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