„Sind Sie Eibar-Fan?“, der Verkäufer des kleinen Buchladens in Bilbaos Altstadt mustert mich etwas erstaunt, als ich mit einem Exemplar von „El modelo Eibar“ an die Kasse trete. Allzu oft scheint das Buch nicht gekauft zu werden und schon gar nicht von Touristen. „Nicht wirklich. Ich interessiere mich einfach für das Vereinsmodell“, antworte ich. Der Baske an der Kasse lacht freundlich: „Ja es ist schon erstaunlich, was in Eibar geleistet wird…“

Das ist es in der Tat. Die Sociedad Deportiva de Eibar ist der mit Abstand kleinste und ärmste Verein in der Primera División, der höchsten spanischen Spielklasse. Nähert man sich der Stadt mit dem Auto, kommt man an grünen Berghängen vorbei, auf den Wiesen grasen Kühe. Es ist beschaulich hier. Nichts deutet daraufhin, dass dieses kleine Städtchen derzeit in aller Munde ist.

Zwei Spieltage wurden in der neuen Saison bisher absolviert. Die SD Eibar führt die Tabelle der Primera División an. Zwei Spiele, zwei Siege, 5:1 Tore – ein Wahnsinn. Eibar ist mit 27 000 Einwohnern die mit Abstand kleinste Stadt der höchsten Spielklasse, das Ipurua mit knapp über 6000 Plätzen der Winzling unter den Stadien und der Etat der SD liegt mit rund 4 Mio. € nur knapp über dem von der Liga vorgeschriebenen Mindestkapital. Der Gesamtmarktwert des Teams wird auf 35,5 Mio. € taxiert. Zum Vergleich: Die Mannschaft von Real Madrid ist 715,5 Mio. € wert (Quelle: transfermarkt.de). Trotzdem steht der Fußballzwerg zumindest bis zu diesem Wochenende ganz oben. Wie konnte es dazu kommen?

„Das Eibar-Modell“

Um diese Frage zu beantworten, springe ich wieder zurück an den Anfang. Das Buch, das ich mir in Bilbao gekauft hatte, gibt Einblicke in die Geschichte und das Vereinsmodell der SD Eibar. Autor ist der aktuelle Präsident Álex Aranzábal. 1940 gegründet, dümpelte der Klub, von kurzen Intermezzi in Liga 2 einmal abgesehen, meist in der 3ten und 4ten Spanischen Liga herum. Vor der Saison 2009/2010 wurde der gebürtige Eibarense Aranzábal dann als Präsident installiert. Seitdem ging es stetig bergauf: in fünf Jahren von der dritten bis in die erste Liga. Der Erfolg kommt nicht von ungefähr, sondern ist das Resultat konsequenter Arbeit.

Die einfache Maxime in Eibar ist: Es wird nicht mehr Geld ausgegeben als vorhanden ist. Das ist auch der Grund, warum die Sociedad Deportiva derzeit der einzige schuldenfreie Verein im spanischen Oberhaus ist. Das spärliche vorhandene Kapital wird so effizient wie nur möglich genutzt. So war es eine der ersten Amtshandlungen Aranzábals die zweite Herrenmannschaft aufzulösen. In betriebswirtschaftlicher Hinsicht ein kluger Schachzug. Normalerweise sind Reserveteams dazu gedacht den hoffnungsvollen Talenten, die im A-Team nicht zum Zug kommen, die Möglichkeit zu geben, ausreichend Einsatzzeit zu erhalten und so wichtige Erfahrung zu sammeln. Das zweite Team der SD Eibar erfüllte aber genau diesen Zweck nie wirklich. In den niederen Spielklassen, in denen die B-Elf unterwegs war, konnten die jungen Talente nicht an Profi-Niveau herangeführt werden. Aranzábal löste das Reserveteam konsequentermaßen auf, um unnötige Gehaltszahlungen einzusparen. Talentierte Spieler, die den Sprung in Eibars Profimannschaft noch nicht schaffen, werden seitdem an kleinere Vereine in der Region verliehen.

Seit Alex Aranzábal das Präsidentenamt übernommen hat, passiert bei der Sociedad Deportiva nichts mehr zufällig. Auch die Zusammensetzung des Kaders ist bestens durchdacht. Vor jedem Transfer werden umfassende Analysen über den potentiellen Neuzugang angefertigt. Er muss in den Verein passen und sich zu 100% mit ihm identifizieren können. Schnellschüsse und halbgare Lösungen gibt es bei Aranzábal nicht. Um auszumachen welcher Spieler zu Eibar passt und welcher nicht, hat die Vereinsführung vier Anforderungsprofile erstellt. In eines davon muss der potenzielle Neuzugang definitiv passen, sonst wird er nicht geholt:

Das erste Profil ist das des „hungrigen Spielers“. Das sind laut Aranzábal dominante Kicker, die 200% für den Verein geben. Sie sind im besten Alter und wissen, dass die SD Eibar für sie, der perfekte Verein ist sich zu entwickeln. Es sind Spieler, die sich vorstellen können langfristig im Klub zu bleiben und als Orientierung für die Mitspieler dienen. Sie leben den Verein und tragen das nach außen weiter. Musterbeispiel für diesen Typ ist Saúl Berjón. Der Linksaußen unterschrieb vor der letzten Saison und machte 34 der 38 Spiele. Er ging voran, schoss drei Tore und bereitete acht weitere vor.

Das zweite Profil ist das des „Veteranen“. Das sind erfahrene Spieler, die am Ende ihrer Kariere stehen und schon viel erlebt haben. Sie sind Autoritätsfiguren im Team und so etwas wie die diskreten Anführer. „Sie sind unsere Hirten der Herde“, umschreibt es Aranzábal in seinem Buch. Es sind Spieler wie Iván Ramis, der 30-jährige Innenverteidiger, die in diese Kategorie fallen. Ramis spielte bevor er zu Eibar kam bereits in der Premier League, bei Wigan Athletic.

Spielertyp Drei ist der „talentierte“. Sie zeichnen sich durch ihre Virtuosität, Kreativität und technischen Fähigkeiten aus. Es sind Spieler, denen eine große Zukunft prophezeit wurde, deren Entwicklung aber stagniert, bis sie fast vergessen sind. Eibar gibt diesen zweifellos talentierten Spielern eine zweite Chance. In dem kleinen baskischen Klub, stehen sie abseits der großen Bühne und können befreit und ohne Druck zu neuer Stärke finden. Borja Bastón ist so ein Spieler. Er stammt aus der Jugend von Atlético Madrid, konnte sich im A-Team der Colchoneros aber nie durchsetzen. Er ist jetzt 23 und hofft nach mehreren gescheiterten Anläufen bei Atlético nun den Durchbruch in Eibar zu schaffen.

Das vierte Profil ist etwas außergewöhnlicher und ist nicht unbedingt notwendig für das Mannschaftsgefüge. Es ist das des „Rohdiamanten“. Das sind sehr junge Spieler mit großartigen Anlagen, die mit großer Wahrscheinlichkeit zur internationalen Klasse heranreifen. Sie werden von den Top Klubs verliehen, um Spielpraxis und Erfahrung zu sammeln. Berühmteste Vertreter dieser Kategorie sind Xabi Alonso und David Silva, die beide ein kurzes Intermezzo in Eibar hatten.

Der Aufstieg 2014

Am Ende der Saison 2013/2014 war es soweit: Eibar hatte den ersten Erstliga-Aufstieg der Vereinsgeschichte perfekt gemacht – zumindest sportlich. Die Lizenz für die Primera División wurde den Basken aus finanziellen Gründen zunächst jedoch nicht erteilt. Das Mindestkapital, das aufgebracht werden muss, um in der höchsten spanischen Spielklasse antreten zu dürfen, beträgt 2,15 Mio. €. Zu diesem Zeitpunkt eine utopisch hohe Summe für den kleinen Klub. Als der Verband gar mit dem Zwangsabstieg in die dritte Liga drohte, rief der Verein die Kampagne „Rettet Eibar“ ins Leben. Binnen kürzester Zeit spendeten Geldgeber aus aller Welt für das aufstrebende Fußballprojekt. Zu den Unterstützern zählt auch Xabi Alonso, Profi des FC Bayern und ehemals Spieler bei Eibar. Drei Monate dauerte es nur, bis die Sociedad Deportiva das Mindestkapital für die 1. Liga aufbringen konnte.

Das Abenteuer Primera División begann vielversprechend. Eibar, das als Abstiegskandidat Nummer Eins gehandelt wurde, überraschte die Liga mit effizientem Konterfußball und einer soliden Defensive. Am Ende der Hinserie 2014/2015 schnupperte das Team aus der baskischen Kleinstadt sogar an den Europa League Plätzen. Leider folgte in der Rückrunde das böse Erwachen: Nach einer langen Niederlagenserie fand sich Eibar am vorletzten Spieltag zum ersten Mal auf einem Abstiegsplatz wieder. Diesen konnten sie im Saisonfinale auch nicht mehr verlassen. Nach einem Jahr Oberhaus, war der Abstieg besiegelt – so schien es. Doch kurze Zeit später keimte doch wieder Hoffnung auf: Der FC Elche wurde aufgrund von Steuerschulden zum Zwangsabstieg verurteilt. Elche legte Einspruch ein, es folgte ein ewiges hin und her. Letztendlich fiel die Entscheidung zugunsten der Sociedad Deportiva de Eibar – Elche stieg ab.

Radikaler Umbruch

Es folgte ein Umbruch. In kürzester Zeit musste diesen Sommer das Team umgebaut werden. Da lange nicht klar war, ob Eibar in der ersten oder zweiten Liga antreten würde, begannen die Personalplanungen stark verzögert. Viele Stammkräfte waren zum Zeitpunkt des Gerichtsurteils schon verkauft worden, im Eiltempo galt es gleichwertigen Ersatz zu finden. Insgesamt wurden 16 neue Spieler verpflichtet, darunter auch zwei aus der Bundesliga. Takashi Inui (ehemals Frankfurt) und Izet Hajrovic (Werder Bremen) unterschrieben bei Eibar.

Trotz den ungünstigen Vorzeichen und der Hektik bei der Personalplanung scheinen sich die Basken gut verstärkt zu haben. Die ersten sechs Zähler gegen den Abstieg sind eingefahren. Es wird sich zeigen, ob das Unternehmen Klassenerhalt ein zweites Mal glücken kann. Es wäre wieder eine Sensation, ein modernes Fußballmärchen. Ich drücke die Daumen! Aupa Eibar!

Literatur:
Aranzábal, Alex (2015). El otro futbol es posible: El modelo Eibar. Madrid: La esfera de los libros.

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