Freitag. Feierabend. Was gibt es schöneres als das Wochenende mit einem Stadionbesuch einzuläuten? Das denken sich leider nicht nur Laurenz und ich. Das Zweitliga Spiel zwischen dem 1.FC Union Berlin und dem RasenBallSport Leipzig e.V. scheint beinahe ausverkauft zu sein. Laurenz ruft auf der Geschäftsstelle des Köpenicker Klubs an. Die günstigsten noch verfügbaren Karten sollen 40€ kosten. Verdammt! Also den Freitagabend wohl doch nicht im Stadion verbringen.

Einen Tag später checke ich ein letztes Mal verzweifelt die Vereinshomepage der Union. Und siehe da, es gibt doch noch erschwingliche Karten fürs Spiel. Dann die Erkenntnis: Es sind Tickets für Sektor 5, den Gästeblock. Die Vorstellung, als neutraler Beobachter zwischen fanatischen Fans des meistgehassten Vereins des deutschen Profifußballs zu stehen, gefällt mir nicht. Ich zögere. Die Gier nach dem Freitagabendlichen Stadionbesuch ist schließlich jedoch größer. Ich kaufe zwei Tickets.

Freitag, 28. August 2015, 17:39 Uhr. Laurenz und ich treffen uns am Ostkreuz, um mit der S-Bahn nach Köpenick zu fahren. Die S3 mit Fahrziel Erkner ist rappelvoll, alle wollen zum Stadion an der alten Försterei. In rot gekleidete Unionfans unterhalten sich im Berliner Dialekt über das anstehende Spiel. Der Saisonstart der Eisernen war durchwachsen, kein einziger Sieg aus vier Spielen. Die S-Bahn ist sich einig: Heute müssen drei Punkte her, der Millionentruppe von Red Bull Leipzig werden wir es zeigen! Es riecht nach Bier und Schweiß in unserem Wagon und die Vorfreude auf die anstehende Begegnung steigt.

Wir erreichen Köpenick gegen 18:15 Uhr, eine Viertelstunde vor Anpfiff. Die Zeit ist knapp und wir hecheln über einen wunderschönen Waldweg hinüber zum Gästeeingang. Als wir endlich dort eintreffen, wird das Spiel gerade angepfiffen. „Nix wie rein“, denke ich mir. „Nix wie rein“, denkt sich Laurenz. „Nix wie rein“, denken sich auch die anderen Leipzig Fans, die vor dem Eingang warten. Die Ordner denken sich nur leider etwas anderes. In Seelenruhe werden die Sicherheitschecks durchgeführt. Es wirkt so als würden die unbeliebten Gästefans mit Absicht langsam eingelassen. Einzelne RB Fans fühlen sich schikaniert und stimmen ein Lied an. „Und ihr wollt unsere Hauptstadt sein?“, schallt es durch den Wald. Nachher stellt sich heraus, dass der verspätete Einlass nichts mit Schikane von Seiten der Union zu tun hatte. Die Fanbusse sind einfach zu spät in Leipzig abgefahren.

Zehn Minuten nach Anpfiff sind wir endlich drin. Es ist zum Glück noch nicht viel passiert, die Anzeigetafel zeigt 0:0. Noch bevor wir einen Stehplatz mit guter Sicht gefunden haben, fällt uns dieser strenge Geruch auf, der sich durch den ganzen Fanblock zieht. „Verkaufen sie hier Schimmelkäse-Baguettes statt Bratwurst?“, ist mein erster Gedanke. Aber nein, so intensiv riecht selbst der penetranteste Edelschimmel nicht. Laurenz und ich sind nicht die einzigen, die nach dem Ursprung des Gestankes forschen. Wir schauen in verärgerte Gesichter, einige halten sich die Nasen zu. Ein freundlich aussehender Vollblut-Leipziger erzählt uns, dass so etwas öfter vorkomme. Bei Auswärtsspielen von RB werden teilweise Stinkbomben oder Buttersäure im Gästeblock deponiert, um die Anhänger der Bullen zu provozieren. Auf höhnische Fangesänge und leichten Anfeindungen hatte ich mich ja eingestellt, aber dieser Gestank, das geht zu weit.

Der säuerliche Geruch bleibt zwar noch die komplette erste Halbzeit, aber ich versuche mich langsam auf das Spiel zu konzentrieren. Ich blicke mich im Stadion um. Etwas über 22.000 Zuschauer passen in die alte Försterei, es ist damit das größte reine Fußballstadion Berlins. Nur etwa hundert Plätze sind heute frei geblieben. Zu hören sind zu Beginn nur die Gesänge der Leipziger Fans. Von den Anhängern der Union ist bis zur 15. Spielminute kein Ton zu vernehmen. „15 Minuten Schweigen für den Fußball den wir lieben“ – ein stiller Protest gegen den Kommerz im Sport. Fußball soll ein Kulturgut bleiben und nicht zum Kapitalwettstreit verkommen.

Stadion an der alten Försterei
Stadion an der alten Försterei

Stadion an der alten Försterei

Ab Minute 15 explodiert die alte Försterei dann förmlich. Die Union-Fans beginnen zu singen. Ich bekomme eine leichte Gänsehaut und fange an im Takt zu wippen. Als ich realisiere, dass ich ja bei den Gästefans stehe, stelle ich das Wippen wieder ein. Auf der gegenüberliegenden Tribüne tut sich etwas. Ein Banner wird entrollt: „Ein berauschender Abend durch Adrenalin, statt künstlich geschaffen mittels Taurin“, lautet die kreative Kritik an RB Leipzig. Die gesungene Antwort aus dem Gästeblock kommt sofort und ist nicht minder amüsant: „Wir sind Schweine, rote Bullen Schweine. Wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier.“ Ich lächele obgleich des charmanten, selbstironischen Textes und nehme einen großen Schluck – Bier wohl gemerkt.

RB-kritisches Banner im Union Block
RB-kritisches Banner im Union Block

Das Spiel selbst plätschert währenddessen so vor sich hin, viele Torraumszenen gibt es nicht zu bewundern. Dann, in der 25. Minute, erzielt Sören Brandy wie aus dem Nichts das Führungstor für die Berliner. In der Folge reißt Leipzig zwar das Spiel immer mehr an sich, wirklich zwingende Aktionen kommen aber nicht zustande. Als dann zur Halbzeit abgepfiffen wird, ist niemand wirklich böse drum.

Laurenz und ich nutzen die 15 Minuten Pause, um den freundlich ausschauenden Vollblut-Leipziger eine Reihe vor uns in ein Gespräch zu verwickeln. Anfeindungen vom Gegner ist er gewohnt: „Das gehört dazu. Das ist Neid. Wir sind der FC Bayern des Ostens“, behauptet er stolz. Was ihn hingegen nervt ist, dass jedes Spiel mit Leipziger Beteiligung als Hochsicherheitsspiel eingestuft wird: „So viele Kontrollen und Polizei, man kann sich gar nicht frei bewegen, dabei sind wir ganz ruhig. Aggressiv werden eigentlich immer nur die gegnerischen Fans.“ Unser sächsischer Freund erzählt uns auch, dass der Gästeblock in der Red Bull Arena zumeist leer bleibt. „Die denken die können uns damit schaden, aber was machen die paar weniger verkauften Karten schon aus.“

Plötzlich ertönt ein Pfiff, die zweite Halbzeit beginnt. Abrupt endet unser Gespräch mit dem RasenBallSport Fan. Alles freut sich auf eine spannende zweite Halbzeit, hier ist noch nichts entschieden. Leider bewegt sich der zweite Durchgang auch nicht auf wirklich besserem Niveau als die erste Hälfte. Leipzig rennt an, Union verteidigt geschickt – bis zur 83. Minute. Ausgerechnet ein Eigentor von Michael Parensen bringt RB den Ausgleich. Die alte Försterei ist schlagartig ruhig, nur der Gästeblock feiert. Neben uns wird „Eure Eltern gehen zu Hertha BSC“ angestimmt.

Beim 1:1 bleibt es. Auf dem Weg zurück zur Bahn resümiere ich das Stadionerlebnis in Gedanken: Spielerisch war das Ganze leider ziemlich mau. Die Erfahrung, einmal im Fanblock der Roten Bullen gestanden zu haben, brachte aber durchaus spannende Erkenntnisse mit sich. Das ganze Modell Red Bull Leipzig ist mir auch nach Freitagabend nicht sympathisch und die drei Punkte hätte ich definitiv eher Union gegönnt. Trotzdem ist die Art und Weise, wie den RB Fans begegnet wird, welcher Hass ihnen entgegen schlägt, für mich in der Form auch nicht angemessen. Kritik bitte gerne, aber in einer kreativen und konstruktiven Form. Nicht mit Stinkbomben oder Buttersäure im Fanblock. Es fehlt im Osten derzeit einfach an professionellen Fußballvereinen. Die ganze Region giert nach Bundesligafußball. Leider spielen die großen Traditionsvereine von einst mittlerweile in der Dritten Spielklasse oder sogar noch tiefer. Wenn also Red Bull in Leipzig Bundesligafußball möglich macht, dann hat das zwar einen faden Beigeschmack, ist aber in erster Linie gut für die Region. Und seien wir mal ehrlich, in eine große Stadt wie Leipzig passt ein Profiklub doch besser als in Orte, wie Hoffenheim, Ingolstadt oder Wolfsburg.

Die Hauptribüne der alten Försterei von außen.
Die Hauptribüne der alten Försterei von außen.
15 Minuten schweigen für den Fußball den wir lieben.
15 Minuten schweigen für den Fußball den wir lieben.
Waldweg zurück zur S-Bahn Station Köpenick.
Waldweg zurück zur S-Bahn Station Köpenick.
Werbung

8 Kommentare zu „Rote Bullen Schweine – Ein Abend mit den meistgehassten Fans Deutschlands

  1. Klasse Beitrag.
    Danke das du dich in unseren Block getraut hast.
    Ja ich bin RB Fan, gebürtiger Leipziger und 26 Jahre alt.
    Der Buttersäuregeruch war mehr als eklig und vor allem im Klo ganz schlimm.
    Wir RBler wollen einfach nur Fußball sehen, mehr nicht.

  2. Super geschrieben und super das du dich zu uns getraut hast. Wir fanden diesen Buttersäure Anschlag ebenfalls voll daneben. Man soll uns Leipziger ja nicht mögen, aber ein fairer und vor allem respektvoller Umgang miteinander wäre wünschenswert. Sticheleien gehören zum Fußball. Aber Gewalt, Buttersäure Anschläge und ähnliches haben draußen zu bleiben. Im übrigen mein Kumpel und ich sind mit dem Fernbus nach Berlin gefahren. Wir sind dann rückzu mit den Unionfans zum S Bahnhof gelaufen, sicherheitshalber haben wir unsere RB Trikots ausgezogen, denn die Stimmung war relativ aggressiv. Aber wir haben es gesund und munter zurück nach Leipzig geschafft.

  3. Cool! Wir sind Fußballfans wie Du, und wir wollen Spaß wie Du – Klasse Beitrag von Dir! Freu Dich auf’s Rückspiel und sieh die Euphorie und die Menschen in der Red Bull Arena, ich bin sicher, daß Dir das gefallen wird. Bis dann…

  4. Die Aussage, dass die Fansbusse zu spät losgefahren wären, ist falsch. Die letzten Kilometer lässt die Polizei die Busse warten. Letztes Jahr 35 min. Wir waren damals mit dem Anpfiff im Stadion. Und bei Union stinkts eben wie im Schweinestall.

  5. Mal anzumerken zu dem Bericht:

    1. Der Waldweg ist nicht schön.

    2. Die Busse sind überpünktlich aus Leipzig losgefahren (14.30 Uhr). Am Rasthof Finkenplan mussten wir Ewigkeiten warten, bis aus Berlin (Polizei) das Go kam zur Weiterfahrt kam.Stau in Berlin usw., schrecklich.

    3. Nicht nur im Gästeblock stank es penetrant, die Herrentoilette wat total verseucht von Buttersäure, da muss während der 1. Halbzeit etwas reingeworfen worden sein. Von wem? Leipziger bestimmt nicht, bleiben nur Union-Fans im Block übrig oder der Ordnungsdienst selbst, der einem beim Gang auf die Toilette kackfrech ins Gesicht lächelte bzw. die gefunden Ampullen bei der angestrebten Beweisaufnahme aus der Hand geschlagen hat!

    4.Der Gesang hieß „Eure Eltern geh’n zum BFC“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s