Die erste WM-Woche ist fast vorüber, mittlerweile haben wir jedes Team zumindest einmal spielen sehen. Viele Partien, Szenen und Spieler sind im Gedächtnis geblieben. Die elf Akteure, die meine WM-Eindrücke bis hierher geprägt haben, stelle ich euch im folgenden vor.
TOR
Wenn am Ende hinten die Null steht, dann haben Abwehr und Torwart meist einiges richtig gemacht. Beim Spiel Iran gegen Nigeria stand die Null bei beiden Teams. Leider waren nicht nur die Tore rar bei dieser Partie, auch die Zahl an ansehnlichen Spielzügen ließ sich an einer Hand abzählen. Iran gegen Nigeria, das war das bis dato schwächste Spiel dieser WM. Einer der wenigen Lichtblicke personifizierte sich im nigerianischen Torwart Vincent Enyeama. In der 34. Minute war er es, der die größte Chance des Spiels per Glanztat vereitelte. Auch ansonsten war Enyeama immer aufmerksam, spielte mit und strahlte eine ungeheure innere Ruhe aus. Diese Gelassenheit des Schlussmannes war es, die den Nigerianern in der offensive fehlte. Über Ansätze kamen die „Super Eagles“ kaum hinaus, die Angriffsversuche wurden zu hektisch vorgetragen und endeten im Nichts. Für Enyeama, der in seinem Heimatland nur „die Katze“ genannt wird, ist es bereits die dritte WM-Teilnahme nach 2002 und 2010. Beide Male schied Nigeria sieglos bereits in der Vorrunde aus. Das Weiterkommen ist dieses Jahr wohl nur möglich, wenn sich Enyeamas Vorderleute für die verbleibenden beiden Spiele etwas von seiner Entschlossenheit abschneiden.
ABWEHR
Die Anforderungen an einen modernen Außenverteidiger sind enorm gestiegen. Neben der Defensivarbeit gehört der Spielaufbau quasi zur Pflicht. So ein Außenverteidiger mit enormen Offensivqualitäten ist zum Beispiel Patrice Evra. Beim ungefährdeten 3:0 Frankreichs gegen Honduras stellte er seine Fähigkeiten eindrucksvoll unter Beweis. Klar Honduras war nun nicht der Gegner, der Evra in die Defensive fesselte. Trotzdem war es beeindruckend zu sehen, welches Tempo der mittlerweile 33-jährige noch gehen kann. Evra schaltete schaltete sich immer wieder vorne mit ein, gab vier Torschussvorlagen und brachte präzise Flanken. Die Passgenauigkeit von 94% (3 Fehlpässe bei 50 Pässen insgesamt) spricht für sich.
Ach war das schön! Deutschland schlägt Portugal zum Auftakt der WM mit 4:0. Ich möchte die Leistung von Jogis Jungs auf keinen Fall schmälern, aber es muss zumindest angemerkt werden, dass auch besonders ein Portugiese einen großen Anteil an diesem deutschen Fußballfest hatte. Die Rede ist natürlich von Pepe. Er war es, der beim 2:0 das Kopfballduell gegen Mats Hummels verlor und so die Weichen für das deutliche Endergebnis schon relativ früh stellte. In der 37. Minute krönte (wenn man hier von krönen sprechen kann) Pepe seine schwache Vorstellung dann mit einer roten Karte. In der Folge hatten die Portugiesen, die zu Beginn der Partie keineswegs chancenlos waren, überhaupt nichts mehr zu entgegnen. Zumindest ein Trost für den Abwehrspieler von Real Madrid: Dank seines auffälligen Auftretens steht er in meiner Elf des ersten Spieltages.
„Zwei Tage vor dem Spiel hatte ich einen Traum, dass ich in der 88. Minute treffen würde.“ Das waren die Worte von Amerikas Innenverteidiger John Anthony Brooks, nachdem er sein Team gegen Ghana zum Auftaktsieg geschossen hatte. Dass es letztendlich nicht die 88., sondern die 86. Minute war, in der Brooks per Kopf zum entscheidenden 2:1 traf, spielt keine Rolle. Die Geschichte des 21-jährigen Herthaners ist trotzdem eine der schönsten dieser ersten Spiele. Brooks hatte bis vor seinem Einsatz gegen Ghana noch kein Pflichtspiel für die USA absolviert. Noch dazu wurde er erst spät von Jürgen Klinsmann für den WM-Kader nominiert. Eine weise Entscheidung des Trainers! Bis zur Halbzeit saß John Brooks gegen Ghana noch auf der Bank, dann musste der etatmäßige Innenverteidiger Matt Besler aufgrund von Muskelbeschwerden ausgewechselt werden. Brooks fügte sich nahtlos ein, stand hinten sicher und dann…ja dann kam eben diese 86. Minute.
Um gegen Portugal erfolgreich zu sein, ist es die halbe Miete, wenn man Cristiano Ronaldo aus dem Spiel nimmt. Dass das über komplette 90 Minuten sehr schwer ist, ist auch klar. Möglich ist es aber! Den Beweis dafür trat zum Beispiel Lukas Piszczek in der Champions League Saison 2012/13 an. Beim legendären 4:1 des BVBs gegen Real Madrid gewann Ronaldo gefühlt überhaupt keinen Zweikampf gegen den polnischen Rechtsverteidiger. In Piszczeks Fußstapfen trat am ersten Gruppenspieltag ein gewisser Jerome Boateng. Boa, der schlaksige Universalverteidiger, der sich eigentlich im Abwehrzentrum wohler fühlt, trieb CR7 bis zu den Tränen und hatte damit großen Anteil am deutschen Erfolg. Den Rest erledigte die Offensive um Müller, aber zu dem nachher mehr…
MITTELFELD
In der Elf des WM-Auftakts darf natürlich auch ein Akteur des Gastgeberlandes nicht fehlen. Obwohl der objektive Betrachter der Begegnung Brasilien-Kroatien eigentlich nicht viel Glanzvolles zu sehen bekam. Beim südamerikanischen Gastgeber stachen eigentlich nur zwei Spieler aus dem eher blassen Ensemble heraus. Das war zum Einen der gefeierte Doppeltorschütze Neymar, zum anderen Mittelfeldakteur Oscar. Dieser Oscar brachte mit seiner Vorlage zum 1:1 die Wende und krönte seine Leistung dann kurz vor Schluss noch mit einem Tor. Doch nicht nur deshalb war der Spieler vom FC Chelsea so auffällig. Bis zum Schluss arbeitete er unermüdlich auch nach hinten und gewann 61% seiner Zweikämpfe. Für einen Offensiv ausgerichteten Mann ein sehr guter Wert.
Das 2:1 gegen England war ein ganz typisches Spiel von Italien. Die Azzurri standen hinten sehr gut und bewiesen vorne einmal mehr ihre Kaltschnäuzigkeit. Bester Mann auf dem Platz war Italien Taktgeber Andrea Pirlo. Der mittlerweile 35-jährige bewies eindrucksvoll, wie laufstark er noch ist. Pirlo war immer anspielbar und hatte quasi bei jedem Angriff seine Füße mit im Spiel. Von den 108 Pässen die der Maestro spielte kamen 103 an. Großartig! Kurz vor Schluss klappte es für Pirlo dann fast auch noch mit einem Tor, als er einen Freistoß aus rund 30 Metern an die Latte nagelte. Angeblich hat sich der Italiener seine Schusstechnik bei einem gewissen Juninho abgeguckt. Der Brasilianer, der lange für Lyon spielte, erzielte 44 seiner 100 Tore für den französischen Klub per Freistoß.
„Er ist konstant, unfassbar talentiert und hat mehr Leidenschaft als jeder andere, den ich während meiner ganzen Karriere als Spieler und Trainer gesehen habe. James hat das Potenzial, der größte kolumbianische Fußballer aller Zeiten zu werden und vielleicht einer der Größten überhaupt, der dieses Spiel je betrieben hat.“ Dieses Zitat stammt von Carlos Valderrama, Kolumbiens größter Fußballlegende. Der Junge James, der von ihm quasi in den Himmel gehoben wird, ist James Rodriguez, Flügelflitzer der Südamerikaner. Als größten Fußballer aller Zeiten kann man den Akteur vom AS Monaco zwar noch nicht bezeichnen, aber im Spiel gegen Griechenland zeigte er zumindest eine Kostprobe von dem was in ihm steckt. Nach zurückhaltendem Beginn, drehte James mächtig auf und ebnete den Weg für Kolumbiens ungefährdeten 3:0 Sieg. Mit seinem Treffer in der Nachspielzeit krönte der erst 22-jährige seine Leistung.
STURM
Die großen Zeiten des Giovanni dos Santos schienen schon vorbei zu sein. Der kleine Mexikaner absolvierte seine fußballerische Ausbildung in der legendären Talentschmiede des FC Barcelona, „La Masia“. Er galt in jungen Jahren als neuer Messi, konnte sich bei den Katalanen jedoch nie durchsetzen. Es folgte eine Odyssee durch Europa mit Stationen unter anderem bei Tottenham, Galatasaray und Mallorca. Mittlerweile ist dos Santos beim FC Villareal angekommen und es scheint, als ob der 25-jährige Mexikaner endlich seinen Klub gefunden hätte. In der abgelaufenen Saison erzielte er in 31 Spielen 11 Treffer für die Spanier und bereitete 8 weitere vor. Auch dem Auftaktspiel seiner Mexikaner gegen Kamerun drückte dos Santos seinen Stempel auf. Er war viel unterwegs und bereitete letztendlich das Siegtor vor, nachdem ihm zuvor zwei reguläre Treffer aberkannt wurden.
„Es müllert wieder!“ Und wie? Der 4:0 Erfolg der deutschen Nationalmannschaft war ein wahres Fußballfest. Das gesamte Team bot eine überzeugende Leistung. Trotzdem ist ein Spieler aus dem Kollektiv hervorzuheben: Thomas Müller. Oder besser THOMAS MÜLLER!!! Gleich dreimal schlug der Offensivmann vom FC Bayern zu. Seine Tore waren nicht schön, aber das sind Müller Tore sowieso fast nie. Unorthodox ist das richtige Wort. Das erste fiel per Elfmeter, das zweite vollstreckte er per 0815 Linksschüsschen und das dritte war ein Abstauber. Typisch Müller eben. Der 24-jährige hat nun insgesamt bereits 8 WM-Tore auf dem Konto und wahrscheinlich noch zwei Turniere vor sich. Ronaldos ewiger Torrekord wird also nicht nur durch Klose gefährdet. Nein, am Ende ist es vielleicht sogar Müller der diese Marke knackt.
Arjen Robben befindet sich in der Form seines Lebens. Seine Rückrunde bei den Bayern war überragend und dieser Eindruck setzt sich nun in Brasilien fort. Trotz seiner 30 Jahre scheint es kaum einen Spieler zu geben, der sich physisch derzeit mit dem Holländer messen kann. Das 5:1 gegen Spanien war ein einziges Fest. Robben krönte seine (fast) unmenschliche Leistung mit einem Doppelpack. Besonders sein zweiter Treffer in der 80. Minute wird mir lange nicht aus dem Kopf gehen: Nach einem Sneijder-Pass überlief Robben den Weltklasse-Verteidiger Sergio Ramos als wäre dieser eine beinlose Schildkröte. Im gegnerischen Strafraum vernaschte der Holländer dann noch Casillas, Pique und abermals Ramos um schließlich lässig einzuschieben. Zum mit der Zunge schnalzen!
Natürlich hätten es noch einige andere Spieler verdient in dieser Elf zu stehen. Man denke nur an Hummels, Neymar oder van Persie. Aber eine Auswahl ist eben eine Auswahl und somit begrenzt.