Nach zwei Monaten kompletter Fußballpause durften die deutschen Amateurfußballvereine unter Einhaltung von Hygiene-Auflagen ins Mannschaftstraining zurückkehren. Was die neue Normalität für Teams aus unteren Ligen bedeutet, schildert Max Lesemann, Defensiv-Allrounder aus der 1. Kreisklasse Hannover.

Im Leben eines jeden Amateurfußballers gibt es diese Tage an denen man sich fragt: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ Für Max Lesemann war der 23. Februar 2020 so ein Tag: An jenem Sonntag trat seine Mannschaft, die 1. Herren des FSC 04 Bolzum-Wehmingen aus der 1. Kreisklasse Region Hannover, zum Testspiel gegen den Kreisligisten BSV Gleidingen an. Das äußerst ungemütliche Februarwetter und die allgemeine sonntägliche Katerstimmung im Team trugen nicht gerade zur Vorfreude auf das Duell mit dem klassenhöheren Gegner bei. „Beim Aufwärmen fing es an zu Hageln und zu Stürmen. Keiner hatte Bock auf dieses Spiel, alle wollten einfach nur nach Hause und einen heißen Tee trinken“, erzählt Max, der von allen nur „Schnabel“ genannt wird, heute über die 0:4-Niederlage gegen Gleidingen.

Auch wenn das Spiel im Rückblick ziemlich „bescheiden“ gewesen sei, so war es trotzdem „einfach geil zu kicken“, wie Schnabel sagt. Das Gefühl auf dem Platz zu stehen und den Atem des Gegenspielers im Nacken zu spüren, das vermisst nicht nur der rustikale Abräumer des FSC 04 Bolzum-Wehmingen. Seit Mitte März ruht der Spielbetrieb des deutschen Amateurfußballs aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie, eine baldige Fortsetzung ist vorerst nicht in Sicht. Fast alle im DFB organisierten Landes- und Regionalverbände sehen einen Abbruch der Saison 2019/2020 mittlerweile als realistischstes Szenario an und prüfen verschiedene Varianten der Umsetzung.


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Als das Grätschen noch „erlaubt“ war: Max „Schnabel“ Lesemann (Nummer Acht) in seinem Element.


Rückkehr ins Training nach zwei Monaten: „Hatte extreme Vorfreude“

Wie und wann der Spielbetrieb fortgesetzt werden kann, steht noch in den Sternen. Ein erster Schritt auf dem langen Weg zurück zur Normalität ist mittlerweile bereits erfolgt: In ganz Deutschland darf wieder im Freien trainiert werden, in Niedersachsen bereits seit dem 6. Mai – allerdings nur unter Einhaltung bestimmter Distanz- und Hygieneregeln. Für das Fußballtraining bedeutet das in erster Linie, das alle Übungen, bei denen der vorgeschriebene Mindestabstand von zwei Metern nicht eingehalten werden kann, entfallen. Gängige Spielformen sind somit nicht durchführbar, technische und individualtaktische Trainingsbausteine hingegen schon.

„Das war von der Intensität deutlich geringer als in einer normalen Einheit. Ein Großteil der Intensität kommt einfach durch die Zweikämpfe und die fehlen aktuell“, erzählt Schnabel nach der ersten, ungewohnten Trainingswoche, in der der Fokus vor allem auf Pass- und Schussübungen lag und fügt an: „Es war trotzdem ein tolles Gefühl wieder auf dem Platz zu stehen, sich die Schuhe anzuschnüren und einen Ball am Fuß zu haben.“


Geregelter Re-Start: Deutschlands Amateurfußballvereine müssen sich bei der Wiederaufnahme des Trainingsbetriebs an detaillierte Vorgaben halten, die der DFB und seine Landesverbände in Absprache mit den Gesundheitsbehörden entwickelt haben.


Einfach mal wieder gemeinsam mit den Teamkolleg*innen gegen den Ball treten – dieser Wunsch begleitete Millionen Amateurfußballerinnen und Amateurfußballer während der knapp zweimonatigen Fußballpause, so auch Schnabel: „Am meisten habe ich das Zusammensein mit der Mannschaft vermisst. Das ist auf dem Niveau, auf dem wir spielen, das Wichtigste. Dass man in der Kreisklasse keine Weltmeisterschaften mehr gewinnt, sollte jedem mittlerweile klar sein.“

„Die Motivation hochzuhalten bleibt eine große Herausforderung“

Nach acht Wochen Zwangspause ist die Rückkehr auf den Platz in der Tat eine Form der Erleichterung. Doch wie lange kann dieses Gefühl anhalten, wenn weitere Lockerungen ausbleiben und das Training auf Abstand zur neuen Normalität wird? „Ich persönlich versuche auch aktuell mein Bestes zu geben, jeden Schuss reinzuhauen und jeden Pass an den Mann zu bringen“, sagt Schnabel, er weiß aber auch, dass sein Antrieb auf Dauer schwinden kann. „Natürlich hat man im Hinterkopf, dass am Wochenende kein Spiel ansteht. Die Motivation hochzuhalten bleibt deshalb langfristig eine große Herausforderung.“


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Ungewohntes Bild bei der Ansprache vor dem Training: Der Kreis fällt in nächster Zeit etwas größer und luftiger aus.


Gerade für Spieler*innen die über das Körperliche kommen, scheint diese Herausforderung noch einmal größer zu sein. Der Gedanke, Zweikampfgötter wie Mark van Bommel, Gennaro Gattuso oder Jaap Stam bei einer kontaktlosen Trainingseinheit zu beobachten, erscheint vollkommen absurd. Auch Schnabel sieht das so: „Für einen Defensivspieler ist ein gewonnener Zweikampf wie für einen Stürmer ein Tor. Dieses Gefühl fehlt auf jeden Fall und ich brauche es auch, um ausgelastet und zufrieden zu sein. Ich kann mir schon vorstellen, dass der ein oder andere Stürmer oder ‚Möchtegern-Neymar‘ froh ist, dass ihm aktuell keiner auf den Füßen rumlatschen kann. Mir als ‚Latscher‘ fehlt der Körperkontakt aber natürlich umso mehr.“

Training in Eigenverantwortung: „Bei manchen saß das Trikot jetzt enger“

Ein Monat, zwei Monate, ein halbes Jahr oder gar noch länger? Bis wann die aktuelle Trainingssituation Bestand haben wird und wann der nächste Schritt in Richtung Normalität gegangen werden kann, lässt sich nicht prognostizieren. Bis dahin müssen alle Beteiligten weiterhin das beste aus der Situation machen und kreative Lösungen finden. „Ich denke es war auch schon über die letzten zwei Monate eine große Herausforderung für die Trainer, die Mannschaft in der fußballfreien Zeit zusammenzuhalten – und ich finde sie sind hervorragend damit umgegangen.“

Einen Trainingsplan hatten die Spieler der 1. Herren des FSC Bolzum-Wehmingen in dieser Zeit nicht bekommen. Vielleicht wäre das in der 1. Kreisklasse auch eine Spur zu ambitioniert. Trotzdem versuchten die Trainer beispielsweise mit Mannschaftsabenden über Skype und einer gemeinsamen Challenge, bei der das Team im April insgesamt 1000 Kilometer gelaufen ist, immer wieder kleine Anreize zu setzen, um ihre Spieler bei Laune und in Bewegung zu halten – mit gemischtem Erfolg, bilanziert Schnabel: „Als es jetzt wieder los ging, gab es schon den ein oder anderen Spruch, wenn bei manchen das Trikot enger saß als vor der Pause. Es gibt aber auch durchaus Spieler, die sich jetzt die T-Shirts eine Nummer kleiner kaufen müssen.“


#StayAtHomeChallenge: Auch der FSC 04 beteiligte sich während der Fußballpause an dem Social-Media-Trend.


Letztendlich geht es in der Kreisklasse um den Spaß und die Gemeinschaft. Wenn es gelingt beides auch in den nächsten Monaten weiterhin vermitteln zu können, ist das mit Sicherheit auch mehr wert als ein gutes Abschneiden im Spiel gegen einen Gegner wie den BSV Gleidingen. Denn im Leben eines Amateurfußballers gibt es immer Tage, an denen man sich fragt: „Warum tue ich mir das eigentlich an?“ Corona hin oder her.

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